projektkrise 2004geschichte

Projektbeschreibung

Seit zehn Jahren führen Studierende am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin mit großem Erfolg das Projekt “das krisenspiel” durch.

Das “krisenspiel” besteht aus der Simulation einer internationalen Krise, für die sich die TeilnehmerInnen für ein Wochenende in ein abgeschiedenes Tagungshaus zurückziehen, und aus einem interdisziplinären Vorbereitungsseminar. Ursprünglich wurde das Planspiel in Form eines Projekttutoriums (PT) und später mit Trägern der politischen Bildungsarbeit angeboten. Heute ist das “krisenspiel” ein selbständiges Projekt der studentischen Vorbereitungsgruppe, das sich über Sponsorengelder finanziert. Das Spielkonzept ist von Studierenden der FU neu entwickelt worden und hat verschiedene Plan- und Rollenspiele als Grundlage.

Die Vorbereitungsphase des "krisenspiels" beginnt rund acht Wochen vor der Krisensimulation. Den TeilnehmerInnen des Krisenspiels werden jeweils die Rollen von relevanten Akteuren einer ausgesuchten Krisenregion zugeteilt. In den folgenden zwei Wochen müssen die TeilnehmerInnen Informationen zu ihrer Rolle in Eigenarbeit recherchieren und sich schleißlich allen anderen MitspielerInnen vorstellen. Als Rechrechehilfe erhalten die TeilnehmerInnen einen Reader mit Nachrichten, Reportagen, wissenschaftlichen Arbeiten etc. zur simulierten Krise. Alle verpflichten sich, diese Materialien in vollem Umfang (150- 200 DIN A4-Seiten) durchzuarbeiten – dies ist für ihre Identifikation mit der Rolle und für einen fruchtbaren Spielablauf unerläßlich.

Unmittelbar vor Spielbeginn wird den Mitspielern das spezifisch entworfene Szenario eröffnet. Darin werden Entwicklungen innerhalb der ausgewählten Krisenregion zu einer unmittelbar bevorstehenden internationalen Krise zugespitzt. Das Szenario versetzt die TeilnehmerInnen hundert Tage in eine glaubhaft fiktive Zukunft; basierend auf den vorher erarbeiteten Informationen müssen die Mitspieler nun Ihre Kenntnisse in Krisenmanagement umsetzen.

Die SpielerInnen müssen vor Beginn des Spiels ihre jeweili-gen Spielziele formulieren. Aufgabe ist es nun, durch geschicktes politisches Handeln das jeweilige Ziel zu erreichen. Die Spieler können ihre Schritte wahlweise offen oder geheim tun (z.B. ein offizielles Gipfeltreffen bzw. eine geheime Regierungsanweisung), reichen sie aber alle beim »Spielkomitee« - dem Organisatorenteam - ein, das über Realisierbarkeit und Realitätsnähe der Spielzüge entscheidet. Offene Schritte werden sofort publiziert, geheime Schritte geraten in ihrer Wirkung erst später ans Licht. Für die Recherche des Spielverlaufs und seiner Ergebnisse ist eine eigenständige Mediengruppe verantwortlich, die stündlich Live-Nachrichten produziert. Deren Mitglieder haben möglicherweise eigene Interessen (Manipulation, Hervorheben bzw. Vernachlässigen bestimmter Sachverhalte), die ebenfalls den Spielverlauf beeinflussen können.

Zum Ende des Spiels vergleichen die SpielerInnen das Erreichte mit den ursprünglichen Zielen. Zu diesem Zeitpunkt wird eine erste Bilanz gezogen, in der das Spielkomitee die Handlungen der Spielgruppen und die Ergebnisse des Spiels analysiert und zur Diskussion stellt. Ein bis zwei auswertende Veranstaltungen etwa eine Woche nach der Simulation dienen der kritischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln und dem Nutzen von Theorie und Simulation. Die TeilnehmerInnen werden darum gebeten, ihren eigenen Spielverlauf noch einmal schriftlich festzuhalten, um in einem letzten Schritt die subjektiv empfundenen Verläufe auch schriftlich miteinander zu vergleichen.

Seminarform und Durchführung

Das Projekt versteht sich nicht als klassische Lehrveranstaltung. Vorausgesetzt wird vielmehr, dass durch intensive und vor allem unkonventionelle Beschäftigung ein Themenbereich umfassender zu vermitteln ist als in herkömmlichen Seminaren, in denen sich der Lerneffekt zumeist auf das stark spezialisierte Thema des eigenen Referates und der Hausarbeit beschränkt. Die persönliche Einbeziehung bewirkt bei vielen Studierenden eine höhere Motivation und führt letztendlich zu einer stärkeren inhaltlichen Auseinandersetzung.

Vor Beginn des eigentlichen ”krisenspiel” werden in vorbe-reitenden Sitzungen verschiedene theoretische Ansätze Internationaler Beziehungen vorgestellt und diskutiert, die jeweils unterschiedliche Aspekte politischen Handelns beto-nen. Dabei werden sowohl Wechselwirkungen zwischen Innen- und Außenpolitik bzw. Wirtschafts- und Außenpolitik thematisiert, als auch Theorien der Konfliktforschung. Zu den Veranstaltungen werden Experten der ausgewählten Krisenregion eingeladen.

Das Spiel selbst findet an einem Wochenende in Klausur außerhalb Berlins statt. Für den Charakter des ”krisenspiel” ist es entscheidend, einen geschlossenen Rahmen zu schaffen, damit die Teilnehmenden sich wirklich mit den gespielten Akteuren identifizieren und auf die Verhandlungssituation konzentrieren können.
Ziele des Projekts

Studienangebote zu internationalen Beziehungen und Außenpolitik, internationalen Krisengebieten und Interessenkonflikten sind fester Bestandteil der Lehrpläne deutscher Universitäten. Simulationsspiele, die Handlungsab-läufe der »großen Politik« transparenter und plastischer gestalten, sind hingegen selten. Die Möglichkeit, dadurch Theorie und Praxis zu verknüpfen, kam bislang zu kurz.

Studieren bedeutet in der Regel die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gedachten anderer, in schriftlicher wie in mündlicher Form. Im ”krisenspiel” selbst soll das theoretisch Mögliche konkret und praktisch erlebt werden, die kontemplative Distanz zur Theorie soll einmal dem Spaß an der Sache weichen und eine kritische Beurteilung des eigenen Handelns ex post ermöglichen.

Die MitspielerInnen des ”krisenspiel” sollen sich mit Geschichte und (Macht-) Interessen in der vorgegebenen Krisenregion befassen, dann aber, anstatt Politik zu analysieren, selbst in der Rolle eines politischen Entscheidungsträgers handeln und daraus neue Perspektiven gewinnen. Das ”krisenspiel” soll schließlich als soziales Ereignis eine Abwechslung zum mitunter nüchternen Alltag des Studiums bieten. Intensiver Austausch und Diskussion können sich bei dieser Seminarform in einer kreativen und persönlichen Atmosphäre entwickeln.

Anmerkungen zu der Zielgruppe

Der Erfolg der letzten Spiele und die Teilnahme Studierender unterschiedlichster Fachbereiche haben dazu beigetragen, daß das ”krisenspiel” an der FU Berlin längst einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Darüber hinaus wurden die letzten beiden ”krisenspiele” von überregionalen Trägern der politischen Bildungsarbeit gefördert.

Macht und Interessen als Faktoren im Verhandlungsprozeß entstehen aus Wechselbeziehungen zwischen verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen. Aus diesem Grund versteht sich das ”krisenspiel” als interdisziplinär. Zielgruppe sind dabei Studierende der Politikwissenschaft und anderer Disziplinen wie Publizistik, Psychologie, Wirtschafts- oder Rechtswissenschaft und Regionalstudien.